Anders l(i)eben in Franken Teil 2 – Der lange Weg zur richtigen Geschlechtsidentität

Jungs schrauben an Autos, tragen Hemden und rasieren sich ab der Pubertät. Mädels wiederum gehen einkaufen, ziehen Kleider an und bekommen ihre Periode. Doch nicht immer sind diese geschlechtsspezifische Stereotype und biologische Gegebenheiten zutreffend – noch fühlen sie sich für manche Menschen richtig an. Wenn ein Michael weiß, dass er eigentlich Brüste haben sollte oder eine Jenny vergeblich auf ihren Bartwuchs wartet, dann hat das nicht unbedingt etwas mit pubertärer Verwirrtheit zu tun, sondern in vielen Fällen mit Transidentität.

Eine kleine Rückblende

In Teil 1 von Anders l(i)eben in Franken ging es um das ungleiche gleichgeschlechtliche Ehepaar Andreas und Markus, deren Coming-out und wie sie im Alltag damit umgehen. Obwohl beide während ihres Outings verschiedene Erfahrungen erlebt haben, begegneten dem Berufskraftfahrer und dem selbstständigen Floristen später kaum noch Anfeindungen oder Ausgrenzung. Grund hierfür mag sein, dass Homosexualität in der Gesellschaft seit vielen Jahren kein echtes Tabu mehr ist und weitestgehend akzeptiert wird. Einem Thema, dem noch viel Unwissenheit und Unverständnis entgegengebracht wird, widmen wir uns im zweiten Teil von Anders l(i)eben in Franken: der Transsexualität.

Pubertät und die Sache mit der Selbstfindung

Alle von uns, zumindest diejenigen, die keine Teenager mehr sind, haben es durchlebt: die Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens. Über den Köpfen schweben ständig dunkle Wolken, weil keines der Schnuckelchen aus der Schule uns schöne Augen macht und daher ständig das Ende der Welt droht. Die lieben Eltern haben dafür natürlich nie Verständnis – aber Erwachsene sind ja eh alle doof. Während diese Probleme zwar einigermaßen schnell verschwinden, haben manche Jugendlichen in dieser Phase noch mit ganz anderen Fragen bezüglich der eigenen Wahrnehmung zu kämpfen. Wenn der Körper, den sie z. B. nach dem Duschen im Spiegel sehen, nicht zu ihrem Selbst passt und er sich einfach falsch anfühlt, ist die Verwirrung umso gewaltiger.

Transidentzeichen Logo
Das Symbol für Transidentität

Ein „extremes Unwohlsein im eigenen Körper“, verbunden mit „Selbsthass und Unzufriedenheit mit sich selbst“ verspürte Lukas in dieser Zeit der Selbstfindung. Im Alter von 13 Jahren bemerkte er, dass er anders als seine Klassenkameraden war. „Für die Jungs war ich nicht männlich und für die Mädchen nicht weiblich genug“, erinnert sich der heute 24-Jährige. Was folgte war Ausgrenzung. Zudem empfand er das zur Frau werden mehr und mehr als Belastung. „Es wäre mir lieber gewesen, wenn sich mein Körper in die männliche Richtung entwickelt hätte“, führt Lukas weiter aus. Woran das genau lag, wurde ihm erst mit 18 Jahren bewusst. In dieser Zeit lebte er mit einem gleichaltrigen jungen Mann in einer heterosexuellen Beziehung. Doch die Ungewissheit und der Druck wurden immer größer. Also begann Lukas zu recherchieren. Im Internet stieß er auf Foren sowie eine Selbsthilfegruppe. Hier erfuhr er erstmals etwas über Transsexualität bzw. Transidentität und dass das sichtbare Geschlecht nicht automatisch das richtige sein muss.

Zum wahren Geschlecht bekennen: Erfahrungen von Sandra Wißgott

An einem Informationsstand der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen Ansbach (KISS) im Ansbacher Brücken-Center lernte Lukas 2012 die Gründerin der Selbsthilfegruppe Trans-Ident und 1. Vorsitzende von Trans-Ident e. V. kennen. In Sandra Wißgott fand er eine fähige und starke Mentorin. Die Schulleiterin aus Wolframs-Eschenbach hat sich, so wie viele Betroffene, erst im Erwachsenenalter zu ihrer Transidentität öffentlich bekannt. Kein leichter Schritt – dennoch ein wichtiger und notwendiger. Betroffene kommen aus allen Schichten und Berufsgruppen. „Vom Arbeitslosen bis zum Arzt“, sei laut Sandra Wißgott „alles vertreten.“ Nicht selten fürchten sich diese Menschen vor Repressalien oder gar um ihren Arbeitsplatz. „Diese Gedanken sollten in unserer Gesellschaft nicht nötig sein.“ Hierbei kann die 56-Jährige versichern: „Die Ängste sind größer als die Realität.“ Dass dem so ist, weiß die Pädagogin aus eigener Erfahrung. Als sie sich 2007 outete, hatte sie nicht nur einen Arbeitsplatz zu verlieren, sondern auch eine Ehefrau und Kinder. Ohne ihre Familie wäre sie diesen Weg nicht gegangen. Für ihre Tochter und zwei Söhne war klar: Die Eltern sollen auf jeden Fall zusammenbleiben. Statt einen Vater und eine Mutter nun zwei Mütter zu haben, spielte für die Teenager eine untergeordnete Rolle.

Sandra Wißgott
Sandra Wißgott – Gründerin der Selbsthilfegruppe Trans-Ident und 1. Vorsitzende von Trans-Ident e. V.

Natürlich ist dies nur ein Beispiel. Durch ihre Vereinsarbeit weiß Sandra Wißgott, dass nicht jede Ehe so stark wie ihre ist. Hierzu gibt die Schulleiterin an, dass ein Drittel der Ehen auch weiterhin hält, nachdem sich ein Partner zur Transidentität bekannt hat. Rund zwei Drittel werden geschieden, wobei es bei einem Drittel davon bereits vorher Eheprobleme gab.

Lukas‘ Familie hat seine Transidentität positiv aufgefasst. „Mach das, was dich glücklich macht“, war die Reaktion seiner Mutter, für die das Outing allerdings keine große Überraschung mehr war. So wie seine Eltern sollen generell alle Eltern reagieren, wünscht sich der gebürtige Sachse.

Transidentität zeigt sich allerdings nicht immer nur während der Pubertät. Bereits im Kleinkindalter können sich die ersten Anzeichen bemerkbar machen. Das jüngste Kind, dessen Eltern in der Trans-Ident-Selbsthifegruppe um Beratung anfragten, ist laut Vereinsgründerin Sandra Wißgott drei Jahre alt.

Das wahre Geschlecht anerkennen lassen

Wer die Selbstfindung, das Akzeptieren sowie das Informieren des näheren Umfeldes hinter sich gebracht hat, ist bereits einen weiten Weg gegangen. Doch damit ist es nicht unbedingt getan. Um vollends als (Trans-)Mann oder (Trans-)Frau leben zu können, bedarf es einiger therapeutischer und rechtlicher Schritte.

Früher galt Transsexualität als psychische Störung bzw. als Identitätsstörung. Inzwischen hat sich dies geändert. Heute wird es als „körperliche Anomalie“ bezeichnet, erklärt Sandra Wißgott. Dennoch musste sich die Lehrkraft, salopp gesagt, erst für >>psychisch krank<< erklären lassen, um ihren Namen ändern zu können. Ausschlaggebend hierfür sind zwei psychologische Gutachten sowie ein Richterurteil.

Eine therapeutische Betreuung ist in jedem Fall ratsam. Dies liegt aber nicht daran, dass Transsexuelle im eigentlichen Sinn krank sind. Vielmehr ist es der Leidensdruck, der krank macht. Begleitend zur Therapie bietet sich der sog. Alltagstest an. Das bedeutet, dass Betroffene in der für sie richtigen Geschlechterrolle Fuß fassen. Dazu gehört es zum Beispiel, sich entsprechend zu kleiden und mit einem passenden Namen anreden zu lassen. Fühlen sich die Betroffenen während dieser Testphase wohl und somit in ihrer Transidentität bestätigt, kann im nächsten Schritt ein Ergänzungsausweis bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. beantragt werden.

Aufwand und Kosten

Um auf Dauer mit dem richtigen Geschlecht anerkannt zu werden, bedarf es einer Vornamens- und Personenstandsänderung. Diese Schritte werden, wie bereits am Beispiel von Sandra Wißgott beschrieben, durch zwei Gutachter beglaubigt und schlussendlich durch das Amtsgericht bestätigt. Führerschein, Geburtsurkunde, Personalausweis, Reisepass, (Schul-)Zeugnisse – all dies wird im Nachgang abgeändert, um nun den neuen Namen und das richtige Geschlecht wiederzugeben. Der bis hierher genannte Ablauf ist jedoch kein fest vorgeschriebener. Jeder Betroffene kann individuell entscheiden, welche Maßnahmen erfolgen sollen.

Da wir selten etwas umsonst bekommen, versteht es sich von selbst, dass die genannten Gutachten, Gerichtskosten, Richtergespräche und Umschreibungen einiges kosten. Selbstredend haben allein die Gutachten eine unterschiedliche Preisklasse. Wer nicht über das nötige Einkommen verfügt, kann hierfür Prozesskostenhilfe beantragen. Im Fall von Sandra Wißgott betrugen die Kosten für beide Gutachten 1.550.- Euro. Im Vergleich dazu waren die 100.- Euro Gerichtskosten Peanuts. Dennoch ist es eine Investition, die sich letzten Endes auszahlt.

Im Alltag als die Person aufzutreten und von den Mitmenschen als diese auch (an)erkannt zu werden die man ist, ist ein wichtiger psychologischer Faktor. Die Personenstandsänderung und die daraus rechtlich wirksame korrekte Anrede sind also essenzielle Schritte. Der Geburtsname, welcher das falsche Geschlecht verdeutlicht, wird von vielen Betroffenen nur ungern verwendet oder gar genannt. Zu sehr wird damit ein Lebensabschnitt verbunden, der Trans*Menschen förmlich aufgezwungen wurde. Dementsprechend gehört es dazu, dass das richtige Pronomen auch für Schilderungen in der Vergangenheit benutzt wird, in der die Personenstandsänderung noch nicht rechtskräftig war. „Als er noch einen Mädchennamen hatte“, oder „Sie wurde als Mann geboren“ sind Sätze, die schlichtweg falsch sind. Transidente Menschen haben aus ihrer Sicht immer nur ein Geschlecht besessen. Dieses wurde jedoch nicht von Geburt an anerkannt.

Die Personenstandsänderung ist nur ein Weg, der zur richtigen Geschlechtsidentität führt. Viele Betroffene gehen weiter und möchten eine körperliche Anpassung an ihre Identität vornehmen lassen. Wie dabei vorgegangen wird und ob das für alle Trans*Menschen die perfekte Lösung darstellt, lest ihr im nächsten Teil von Anders l(i)eben in Franken – Der lange Weg zur richtigen Geschlechtsidentität.

Alles Karneval, oder was?!

In einem Gespräch, bei dem die Themen Transsexualität und Intersexualität aufkamen, fiel ein Zitat einer nicht anwesenden Person. Dieses Zitat hat mich selbst so sehr irritiert, genervt und mir gleichzeitig vor Augen geführt, wie viel Unwissenheit zu beiden Themen besteht. Nun sollte ich vielleicht den Ausspruch nennen, der Auslöser für diesen Beitrag wurde. Ich bin auch gleich soweit. Die Situation war folgende: In kleiner Runde saßen ein paar Freunde und ich zusammen und unterhielten uns. Als die oben genannten Themen aufkamen, sagte einer der Kumpels: „Ich wurde von einer Kundschaft nach meiner Meinung als Schwuler zur Einführung eines dritten Geschlechts gefragt.“ Soweit ja keine dramatische Frage. Außer, dass ich nicht verstehe, warum Homosexuelle anders darüber denken sollen. Aber egal. Nun kommt das befürchtete Zitat. Die Meinung zum Thema Intersexualität dieser Person lautete: „Dann haben wir ja das ganze Jahr Karneval!“ Für diesen Spruch gibt es allerdings keine Kamelle.

Man lernt nie aus

Schnell war klar: Es gibt sie noch – diejenigen, die Homosexualität, Transsexualität und Intersexualität für das Gleiche halten. Schlimmer noch: Sie halten alles für Travestie. Dass dem nicht so ist, hoffe ich, konnte ich ansatzweise in der Reihe Anders l(i)eben in Franken aufzeigen. Wie vielfältig die menschliche Wahrnehmung des eigenen Körpers, der Sexualität und vor allem der Liebe ist, wurde mir erneut bei der Bearbeitung des zweiten Teils dieser Reihe bewusst – und ich habe sogar noch einiges mehr dazugelernt.

Lange Rede, kurzer Sinn, hier nun einige der Begriffe, die nicht nur den Wortschatz erweitern, sondern auch den eigenen Horizont:

Bigender
Das Erfahren zweier Geschlechtsidentitäten – auch zur gleichen Zeit möglich

Bisexualität
Sexuelle Anziehung durch das männliche und weibliche Geschlecht

Gender
Wird inzwischen hauptsächlich als sozialer Geschlechtsbegriff verwendet (z. B. Kleidung oder Beruf betreffend)

Genderfluid
Geschlechtsidentität ändert sich gelegentlich bis häufig, auch eine neutrale Geschlechtseinordnung möglich

Heterosexualität
Sexuelle Anziehung durch das andere Geschlecht

Homosexualität
Sexuelle Anziehung durch das eigene Geschlecht

Intersexualität
Personen, die aus biologischer Sicht weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können

Trans*
Überbegriff für alle Menschen, deren Geschlechtsidentität sich von dem bei ihrer Geburt zugeordneten Geschlecht unterscheidet

Transgender
Nicht einheitlicher Begriff, im Englischen oft als Synonym zu Transsexualität, im Deutschen zur sozialen Integration / das soziale Geschlecht

Transgeschlechtlich
Synonym zu Transident und Transsexuell

Transfrau
Person mit weiblicher Geschlechtsidentität

Transident
Person, deren Geschlechtsidentität sich von den biologischen Merkmalen unterscheidet

Transmann
Person mit männlicher Geschlechtsidentität

Transsexuell
Bekanntester Begriff, der jedoch mehr auf Sexualität abzielt

Travestie
Bewusst überspitzte, meist zur Unterhaltung dienende Darstellung des anderen Geschlechts

Passend zum Thema:

Jan Degner

HS Ansbach, Jan Degner, mik, Sandra Wißgott, Selbsthilfegruppe Trans-Ident, Transident, Transident e.V., Transidentität, Transsexualität, Transsexualität in Franken

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