Fränkische Tracht – zwischen Tradition und Moderne

Ob Bergkirchweih, Annafest oder Mooswiese – im Sommer findet sich oft die Gelegenheit, Dirndl oder Lederhose aus dem Schrank zu holen. Besonders bei jungen Franken ist die Tracht zurzeit populär. Dabei ist vielen der Unterschied zwischen der bayerischen und fränkischen Tracht gar nicht bewusst.

Fünf Jugendliche schunkeln auf der Bierbank, die Maßkrüge wiegen schwer in der Hand. Die Mädchen tragen eng gezurrte Mieder und Hochsteckfrisuren, die Jungs Lederhose zum blau karierten Hemd. Für viele Franken gehört es dazu, zu Kerwa und Volksfest Tracht zu tragen. Andere ziehen sie an, um gut auszusehen. Aber ist die moderne fränkische Trachtenmode, wie wir sie auf Festen sehen, überhaupt in unserer Region verwurzelt? Um das herauszufinden, trafen wir Katrin Weber (39), die Leiterin der Trachtenforschungs- und -beratungsstelle Mittelfranken, im Kulturhaus in Stein.

Frau Weber, liegt Trachtenmode denn gerade im Trend?

Wir erleben tatsächlich seit 2010 einen Dirndl-Boom. Er flaut jetzt im Moment wieder ein wenig ab, wird aber weiterhin durch die Werbung, Hersteller und Prominente befeuert. Man darf ja nicht vergessen, wie schnelllebig alles in den letzten Jahren geworden ist. Kaum heißt es auf Instagram: „Machen Sie ein Trachten-Selfie!“ kocht das Thema schon wieder hoch. Das Ganze wird auch laufstegfähig, denn es mausern sich immer wieder neue Designer, die ihre Kollektionen dem Trachtenlook nachempfinden. Der Trend wird also am Leben erhalten, weil es immer wieder neue Generationen gibt, die sich dafür interessieren.

Trachtenforschungs- und –beratungsstelle Mittelfranken

Wie stehen Sie dieser „Nachempfindung“ der Tracht in der Mode gegenüber?

Ich finde das natürlich gut. Wenn jemand so etwas anzieht, hat er sich zumindest einmal Gedanken gemacht, dass er irgendwo dazugehören oder Heimatgefühle ausdrücken möchte. Da kann ich einhaken und sagen: „Jetzt pass aber mal auf, du bist ja ein Franke. Magst du dir nicht mal das anschauen, was hier in der Region so getragen wurde, und lernen, dass das jetzige Dirndl gar nicht so typisch ist, wie’s scheint?“

Und welche Antworten haben Sie darauf erhalten?

Eigentlich durchwegs positive. In meiner Tätigkeit als Trachtenberaterin erreichen mich zurzeit immer mehr Anfragen von Menschen, die etwas Historisches aus der Region nachnähen oder sich informieren wollen, wo auch heute noch möglichst ursprüngliche fränkische Tracht verkauft wird.

Wo liegt denn der historische Ursprung der fränkischen Traditionskleidung?

Es gibt nicht die eine fränkische Tracht – und ebenso wenig hatte jedes Dorf in Franken eine eigene. Also muss man sich auch von der Vorstellung verabschieden, man könne an der Kleidung der Leute erkennen, aus welchem Dorf sie stammten (lacht). Es gab nur, so wie es sie heute gibt, Trends und Kleidungsstücke, die in einer Region zu einer bestimmten Zeit eher in Mode waren.

Die Trachtenmode im Wandel

Ca. 1517-1860

Mit der Reformation zeigt sich auch an der Tracht, wer Katholik und wer Protestant ist: Katholische Frauen und Männer greifen eher zu kräftigeren Farben. Vor allem das typisch katholische Rot spiegelt sich in Hemden, Strümpfen und Schürzen wieder. Die Protestanten sind in schlichteren Farbtönen gekleidet: Vor allem schwarz, braun, dunkelgrün und dunkelblau.

 

Ca. 1860

Die „bunte Zeit“ der Tracht beginnt. Chemische Farbstoffe, die sogenannten Anilin-Farben, machen es möglich. Die Trendfarben zu dieser Zeit sind vor allem Magenta, Mauve-Töne, kräftiges Grün und dunkles Lila.

 

Ca. 1880

Die Haube wird durch Hut und Kopftuch nach und nach verdrängt. Es gehört aber weiterhin zum guten Ton, das Haar, beziehungsweise den Kopf, zu bedecken.

Ca. 1920

Fränkische Damen tragen – historisch belegt – zum ersten Mal Trachten mit Mieder. Nach dem ersten Weltkrieg können sich wohlhabende Paare erstmalig Sommerreisen ins bayerische Bergland leisten. Sie finden Gefallen an der bayerischen Tracht.

Ca. 1965

Das Märchen um die Dirndl-Schleife wird populär. Die Modezeitung „Marie Claire“ hält die Codierung der Schleife zum ersten Mal schriftlich fest. Was als modischer Gag beginnt, wird schnell zum allgemein akzeptierten Dirndl-Gesetz. Mit bayerischer oder fränkischer Tradition hat das Schleifenbinden aber nichts zu tun.

Das Schleifenbinden ist also ein Mythos, der nicht historisch belegt ist. Gibt es noch andere Beispiele für solche Mode-Märchen?

Oh ja, da gibt es einige! Zum Beispiel die Codierungen beim Herrenhut: Da reicht ja ein Mann, der sagt: „Ich mach’s ab jetzt so: Wenn ich nicht fröhlich, sondern traurig bin, dann setz ich meinen Hut andersherum auf.“ Und auf der nächsten Beerdigung sehen das drei weitere Männer und finden das gut – und schon hat man eine Tradition… (lächelt). Man darf nicht vergessen, die Leute waren damals genauso individuell und hatten ihren eigenen Kopf, die haben sich auch nicht in ein Schema pressen lassen. Es gab ja im 20. Jahrhundert auch keine Kleidungsregeln mehr. Jeder konnte für sich selbst entscheiden, was er tragen wollte.

Regionale Unterschiede – zwischen Franken und Bayern – waren aber dennoch sichtbar. Wie genau unterschieden sich denn die fränkische und die bayerische Tracht?

Die Kleidung, die wir heute auf der Bergkirchweih und dem Oktoberfest überwiegend sehen, ist die bayerische Variante. Das ist zum Beispiel die Lederhose – und die ist gar nicht „typisch fränkisch“. Aber auch die Frauen in Franken kleideten sich in vielerlei Hinsicht sehr anders, als wir es heute tun…

Bayerisch vs. fränkisch

Sie haben den Wandel der Tracht von ihren Anfängen bis in die Aktualität hinein erforscht. Warum hat sich das bayerische Dirndl gegenüber dem fränkischen eher durchgesetzt und gilt heute als modern?

Eine Münchnerin und zwei
Dachauerinnen im Gespräch, Archivbild zeigt Kleidungsweise aus dem Jahr 1847
(gezeichnet von J. Doering)

Woran das genau liegt, ist natürlich schwer zu belegen. Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass man die fränkische Tracht vielleicht als etwas schlicht empfunden hat. Sie sehen das hier auf diesem Bild (rechts): Es zeigt links eine Münchnerin und rechts zwei ländliche Frauen aus Dachau. Die Silhouette der Münchnerin ist eine ganz andere, sie ist nicht unbedingt dünner, wirkt aber viel schlanker. Ihr Mieder ist viel figurbetonter und sieht durch die goldenen Stickereien sehr edel aus. Sie trägt nicht diese weiten Röcke und die Ärmel sind relativ eng. Da kann man natürlich zeigen, was man hat, und seine Individualität zum Ausdruck bringen, während man das mit der schlichten fränkischen Kleidung eher nicht kann. Ich denke, die Frauen von damals waren eben auch eitel wie wir und wechselten einfach zu dem bayerischen Mieder-Stil, weil sie diesen als schöner und vorteilhafter empfanden. In etwa so ist es wohl auch mit der bayerischen Lederhose irgendwann gekommen.

Die Tracht von heute: Eine Spurensuche auf der Erlanger Bergkirchweih

Lebkuchenherz auf dem Berg in Erlangen

Nach dem Gespräch in der Trachtenforschungsstelle machten wir uns als Reporterteam auf den Weg zur Erlanger Bergkirchweih, um nach fränkischem Trachten-Bewusstsein Ausschau zu halten.

Dem Oberpfälzer gefällt die typisch fränkische Tracht nicht so gut. Im Sommer wäre sie ihm zu warm. Er trägt lieber die bayerische Tracht.
Christoph27 Jahre
Für die beiden Mädchen gehört das Dirndl zur Kerwa dazu. Die fränkische Tracht gefällt ihnen nicht, sie bevorzugen die bayerische Variante.
Evelyn und Katharina29 und 30 Jahre
Für die beiden Mädchen gehört das Dirndl zur Kerwa dazu. Die fränkische Tracht gefällt ihnen nicht, weshalb sie lieber die bayerische Tracht bevorzugen.
Evelyn und Katharina29 und 30 Jahre
Die Kölner tragen ihre Lederhosen, um sich als Besucher der Bergkirchweih anpassen zu können. Sie wussten bis dato nicht, dass es einen Unterschied zwischen bayerischer und fränkischer Tracht gibt. Wenn in Franken irgendwann einmal größtenteils die typische Tracht getragen wird, dann wollen sie wiederkommen und sich der Kultur entsprechend anziehen.
Nils, Niklas und Christian22, 21 und 21 Jahre
Die Erlangerin wählt ihre Tracht nicht nach dem Aspekt des Aussehens aus: Ihr ist es vor allem wichtig, ihr Dirndl selbst waschen zu können. Sie trägt ihre Tracht je nach Anlass - auch die fränkische.
Anja50 Jahre
Die Erlangerin wählt ihre Tracht nicht nach dem Aspekt des Aussehens aus: Ihr ist es vor allem wichtig, ihr Dirndl selbst waschen zu können. Sie trägt ihre Tracht je nach Anlass - auch die fränkische.
Anja50 Jahre
Die Rheinländer tragen Tracht, weil es für sie schön aussieht und es zu den Festen passt. Die beiden kombinieren gerne auch traditionelle Trachtenstücke mit moderner Kleidung, um Stilbrüche zu erzeugen. Monika würde die typisch fränkische Tracht zunächst aufpeppen – klassisch ist sie ihr zu langweilig.
Monika und Johannes50 und 60 Jahre
Die Gredinger Mädchen tragen beide eine moderne Variante der fränkischen Tracht. Ein Pluspunkt für sie: Da die Dirndl hochgeschlossen sind, können sie die Kleider auch ohne Bluse tragen. Ihrer Meinung nach geht der Trend sowieso weg davon, Blusen zum Dirndl zu tragen.
Kristina und Monika26 und 29 Jahre
Die Gredinger Mädchen tragen beide eine moderne Variante der fränkischen Tracht. Ein Pluspunkt für sie: Da die Dirndl hochgeschlossen sind, können sie die Kleider auch ohne Bluse tragen. Ihrer Meinung nach geht der Trend sowieso weg davon, Blusen zum Dirndl zu tragen.
Kristina und Monika26 und 29 Jahre

Die richtige Tracht für sich finden

Trachtenkleidung wird immer individuell interpretiert und hat für jeden eine eigene Bedeutung. „Und sie soll ja auch zu mir als Person passen, wenn ich sie trage“, erklärt Monika (59). Auf der Bergkirchweih trägt sie ein langes grünes Leinenkleid im Trachtenlook, eine große runde Sonnenbrille und eine graue Stoffjacke. „Ich möchte mich nicht im Korsett hinsetzen und gar keine Freude mehr haben. Es ist ja kein Karneval, man soll ja nicht verkleidet sein.“ Ihr Mann pflichtet ihr lachend bei: „Jeder sollte seine Trachtenkleidung so für sich kombinieren, wie er sich wohlfühlt. Haferlschuhe zu Jeans gehen also auch.“

Ein Fränkisches Dirndl im Detail

Letztlich handelt es sich bei dem derzeitigen Trachten-Hype nicht nur um einen historischen, sondern auch um einen modischen Trend – aber für viele ist er eben nur das. Trotzdem stechen Einzelne aus der Masse heraus, die Wert auf den fränkischen Ursprung der Tracht legen: mit neuen Modekollektionen ohne Trachtenbluse, geknöpfter Schürze oder hochgeschlossener Bluse, die jetzt wieder salonfähig werden.

„Ich beobachte bei den Anfragen, die mich im Moment in meiner Tätigkeit als Trachtenberaterin erreichen, dass viele traditionelle Nähtechniken lernen und etwas Historisches nachnähen wollen“, berichtet Trachtenberaterin Katrin Weber. Es handelt sich dabei um die individuelle Entscheidung, sich mit der fränkischen Tracht und Tradition persönlich auseinandersetzen zu wollen.

Melina Möhnle, Lidia Piechulek, Anne Rauh

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