Containern in Ansbach

Ein kurzes Mindesthaltbarkeitsdatum, eine kaputte Verpackung oder Dellen: Bereits bei kleinen Makeln werfen Supermärkte Lebensmittel in die Tonne. Max möchte dagegen ein Zeichen setzen und geht deshalb in Ansbach containern. Wie riskant Containern ist und welche Erfahrungen Max in der Rezatstadt gemacht hat, verrät er uns im Gespräch.

Containern, auch Mülltauchen oder Dumpstern genannt, meint die Mitnahme von weggeworfenen Lebensmittel aus Abfallcontainern. Diese gehören meist Supermärkten oder Fabriken. Häufig werden die Lebensmittel wegen einem abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatum, Dellen sowie anderen Makeln weggeworfen oder landen als Überschuss im Müll.

Franziska: Hallo Max, schön, dass du da bist und dir heute Zeit genommen hast.

Max: Ja hallo, freut mich, dass ich hier sein darf.

Franziska: Wir sind schon gespannt, was du heute zu erzählen hast. Du gehst seit drei Monaten in Ansbach und Nürnberg containern. Wie bist du dazu gekommen?

Max: Ja, wie bin ich dazu gekommen? Es ist halt eine große Thematik, dass zu viele Lebensmittel weggeschmissen werden und ich will aktiv etwas dagegen tun. Und ich bin durch ’ne Freundin in Nürnberg darauf aufmerksam geworden, die hat schon ein bisschen Erfahrung im Containern und dann habe ich mich da auch mal angeschlossen, um es auch für mich herauszufinden.

Franziska: Was war so der Hauptgrund, was dich motiviert hat, containern zu gehen?

Max: Also die Lebensmittelverschwendung auf jeden Fall. Es wird ja, glaube ich, bis zu einem Drittel der Lebensmittel verschwendet, allein in Deutschland, und da dann einfach aktiv zu werden.

Franziska: Also der Grund, was gegen Lebensmittelverschwendung zu tun. War aber vielleicht auch der finanzielle Aspekt ein wichtiger Grund, dass du sagst, ich spare mir das Geld fürs Einkaufen?!

Max: Ne, der finanzielle Aspekt ist es bei mir nicht. Es ist eher so der Grundgedanke, dass zu viele Lebensmittel weggeschmissen werden und man die ja noch retten kann, weil viele Lebensmittel noch gut sind, die in der Tonne landen, und da geht’s mir nicht ums Geld.

Franziska: Gehst du alleine containern oder in der Gruppe? Wie ist es da in Ansbach? Gibt es da vielleicht sogar eine richtige Container-Szene?

Max: Also ich hab schon gehört, dass andere Leute auch containern gehen. Ich geh mal alleine, mal aber auch zu zweit, oder zu dritt waren wir auch schon mal unterwegs. Je nachdem, also ich hab auch noch einen guten Freund dafür begeistern können und der ist jetzt auch oft dabei, aber auch mal alleine.

Franziska: Also das heißt, es sind dann eher Freunde oder Leute aus deinem Umfeld oder wie findet man sich da zusammen?

Max: Also ich hab jetzt noch nicht übers Internet oder so Leute in Ansbach oder so kennengelernt, die containern, sondern nur im Bekanntenkreis.

Franziska: Was ist so die beste Zeit zum Containern gehen? Wahrscheinlich dann nachts, wenn’s dunkel ist oder wann ziehst du los?

Max: Ja, je später desto besser. Ich war einmal mit einer Freundin in Nürnberg, da waren wir schon um neun Uhr am Supermarkt, da war’s aber noch nicht so gut, weil auch teilweise noch Mitarbeiter da waren. Wenn man aber so um zwölf, ein Uhr nachts geht, dann ist das am sichersten, sag ich jetzt mal. Es ist nicht mehr viel los auf den Straßen und bei den Geschäften ist auch niemand mehr da.

Franziska: Wie bereitet man sich da vor zum Containern gehen? Hast du ’ne Taschenlampe dabei oder anderes Equipment?

Max: Ja, also sehr vorteilhaft ist ’ne Stirnlampe. Ich hab mir jetzt eine gekauft, weil es ist halt immer dunkel wo man unterwegs ist und daher nur mit dem Handy ausleuchten oder so ist jetzt nicht so praktisch, weil man  immer etwas in der Hand hat. Und wenn man beide Hände frei hat, also mit der Stirnlampe, ist das schon gut und dazu halt noch ein paar Plastiktüten, die auch dreckig werden können, wenn mal bisschen dreckiges Zeug reinkommt. Aber sonst braucht man nicht viel. Gummihandschuhe sind zu empfehlen, auf jeden Fall.

Franziska: Besonders riskant wird Containern ja, wenn man Schlösser aufknackt oder Türen beschädigt. Wie sind da die Tonnen in Ansbach oder die du aufsuchst? Sind die abgeschlossen oder offen zugänglich?

Max: Also es ist ziemlich unterschiedlich. Bei manchen Supermärkten stehen die einfach nur rum, ohne jegliche Absperrung, die Tonnen, wo man einfach hinlaufen kann, so in den Anfahrts- oder Anlieferungsrampen. Bei manchen Supermärkten sind Gitter drum, die aber nicht mal abgesperrt sind, also da kann man die Tür einfach öffnen ohne irgendwie etwas zu beschädigen oder Lärm zu machen. Es gibt aber die Fälle, da sind Gitter drum, die sind auch abgesperrt, da kann man teilweise drüber klettern. Also bei einem Supermarkt in Ansbach ist sogar doppelter Stacheldraht drüber und extra ein Schloss drumherum gewickelt, dass man da nicht hinkommt. Das ist eigentlich ein bisschen schade, aber ok.

Franziska: Was ist dann so deine Grenze, wenn du sagst, ok, du gehst jetzt nur zu den Tonnen, die offen zugänglich sind, oder würdest du auch ein Schloss aufknacken?

Max: Also aufknacken würde ich nix, weil’s halt ja Sachbeschädigung ist und das Werkzeug will ich schon gar nicht mitschleppen. Aber irgendwo drüberklettern, wo man sich nicht verletzt, das mache ich schon.

Franziska: Die Supermärkte beteuern ja immer, dass sie eigentlich fast nichts wegwerfen und wenn, dann geben sie es an soziale Projekte wie zum Beispiel die Tafel. Also eigentlich fast nichts wegwerfen. Wie ist das so? Was sind deine Erfahrungen, liegt da wirklich wenig in den Tonnen oder ist es verhältnismäßig viel?

Max: Es ist auch von Supermarkt zu Supermarkt unterschiedlich. Ich hab jetzt auch schon mal bei einem Supermarkt nachgefragt, wie das abläuft mit Lebensmitteln, die eigentlich in die Tonne geworfen werden. Da war dann die Antwort, dass die an die Tafel gespendet werden. Andere Supermärkte machen das aber scheinbar nicht, weil was man so in den Tonnen findet, sind eben Lebensmittel, die noch gut sind. An sich wird das auch in den Filialen unterschiedlich gehandhabt, wie mit den Lebensmitteln umgegangen wird.

Franziska: Aber was ist so dein persönlicher Eindruck? Würdest du sagen, es ist viel, was in den Tonnen liegt?

Max: Ja, definitiv.

Franziska: Wir haben nämlich auch mal recherchiert. Nach einer Studie von der Boston Consulting Group werden in Deutschland ein Drittel der Lebensmittel in den Müll geworfen. Wenn man das dann auf den Tag umrechnet, sind das mehr als 12.000 Elefanten vom Gewicht. Das ist schon verrückt.

Max: Ja, das ist schon immens. Aber es werden ja nicht nur Lebensmittel von den Supermärkten weggeschmissen, es sind halt auch die Verbraucher.

Franziska: Ja genau, die zählen da mit rein. Ein großer Teil kommt aber eben auch von den Supermärkten.

Max: Oder von der Landwirtschaft schon selber. Wenn das Gemüse ja nicht schön genug ist, wird es auf dem Feld liegen gelassen oder halt vom Bauer entsorgt. Das ist halt auch ein großes Problem.

Franziska: Was sind so Lebensmittel, die häufig im Müll landen? Gibt’s da bestimmte Lebensmittelgruppen oder gibt’s da wirklich alles querbeet in der Tonne?

Max: Also letztens waren sehr viele Erdbeeren da. Die werden sehr viel weggeschmissen. So generell sind’s ziemlich viel Paprika, also Gemüse. Man findet immer wieder auch viel Salat, Brokkoli. Also eigentlich schon querbeet. Sowas Spezielles gibt’s eher weniger.

Franziska: Was sind dann immer so die Lebensmittel, die du mitnimmst? Hast du da auch bestimmte Sachen, die du sagst, die würde ich jetzt eher nicht nehmen aus dem Müll oder die kann man immer nehmen, das ist unbedenklich?

Max: Also ich nehme an sich nur Obst und Gemüse mit. Ich selber esse kein Fleisch, daher kommen auch keine tierischen Produkte für mich in Frage, daher Obst und Gemüse, was halt so noch vegan ist.

Franziska: Also ein häufiger Grund ist das Mindesthaltbarkeitsdatum, warum die Lebensmittel weggeworfen werden. Aber ich schätze auch mal, wenn kleine Makel dabei sind wie eine Delle oder eine eingedrückte Stelle.

Max: Ja, also zum Beispiel bei Paprika, wenn eine Dreierpackung Paprika da ist und nur eine Paprika eine Druckstelle hat, landet halt gleich die ganze Packung im Müll. Oder wenn die Verpackungen nur verschmutzt sind, warum auch immer, dann landen die auch schon im Müll, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum noch lange nicht erreicht ist. Also es wird viel mehr weggeschmissen als nötig.

Franziska: Du hast erwähnt, du nimmst zum Beispiel Gummihandschuhe mit, wenn du containern gehst. Gibt’s sonst irgendwelche Hygienemaßnahmen, die du triffst oder hattest du vielleicht sogar schon mal Probleme wegen den Lebensmittel, die du containert hast?

Max: Ne, also ich passe gewissermaßen darauf auf, weil ich mich im Internet so ein bisschen informiert hab. Wenn jetzt zum Beispiel ’ne Gurke, also sehr wässrige Lebensmittel, schon Druckstellen haben oder Eindrücke, die nehme ich dann eher nicht mit, weil sich dann auch Bakterien oder Keime gut drin vermehren können. Da sollte man schon immer ein bisschen aufpassen. Also wenn ich nach Hause komme, dann wasche ich die auch direkt oder vorm Verzehr noch mal gründlich. Da gab’s bisher keinerlei Probleme.

Franziska: Wie viel Zeit kostet dich das Containern? Oder wie oft gehst du in der Woche containern?

Max: Ich gehe nicht so regelmäßig. Ich versuche es schon. Also Samstagabend bietet sich eigentlich immer an, weil am Sonntag dann zu ist und dann viel weggeschmissen wird. Je nachdem, wie viele Supermärkte man sucht, aber man kann nach der Zeit dann auch schon einschätzen, an welchem Supermarkt es sich lohnt, wo man gut hin kommt. Da ist man dann schon ein bis zwei Stunden unterwegs.

Franziska: Gehst du dann überhaupt noch im normalen Supermarkt einkaufen oder reicht dir quasi das, was du containerst?

Max: Also gelegentlich gehe ich noch im Supermarkt einkaufen, wenn ich halt so gewisse Dinge brauche. Frisches Obst zum Beispiel ist nicht immer drinnen in den Tonnen. Daher gehe ich manchmal einkaufen, aber es hat sich schon stark reduziert. Also ein, zweimal die Woche gehe ich noch in den Supermarkt und kaufe gezielt Dinge ein.

Franziska: Wie viel gibst du dann in der Woche aus für Lebensmittel oder im Monat? Hast du dann überhaupt noch Ausgaben?

Max: Also damals hatte ich mal so mitgerechnet, da waren es 50 bis 60 Euro Lebensmittel pro Woche, also als ich normal einkaufen war. Momentan würde ich mal schätzen hat, es sich ungefähr halbiert. Also ich würde mal grob schätzen, es waren so 20 bis 30 Euro noch pro Woche.

Franziska: Dann als netter Nebeneffekt.

Max: Ja, auf jeden Fall. Das ist schon ein großer Vorteil, klar, dass es nix kostet.

Franziska: Du möchtest heute ja anonym bleiben, wie reagiert dein Umfeld so darauf, auf das Containern?

Max: Mein Umfeld reagiert eigentlich ziemlich positiv darauf. Meine Mutter ist da jetzt nicht so positiv dazu eingestellt, weil’s halt doch verboten ist und auch relativ hohe Strafen verhängt werden können dafür.

Franziska: Aber sprichst du das dann auch offen an oder nur zu bestimmten Personen, dass du sagst, ok, ich gehe containern? Wie handhabst du das?

Max: Also so im Bekanntenkreis gehe ich schon ziemlich offen damit um, weil ich es halt legitim finde, dass man Lebensmittel rettet und was gegen das Problem macht. Ja aber ich sage jetzt mal gegenüber älteren Personen oder ganz fremde, da sollte man schon ein bisschen vorsichtig sein, dass man die ein bisschen einschätzen kann.

Franziska: Du hast gerade schon die rechtliche Seite angesprochen. Inwieweit hast du dich da informiert? Es wurden ja in Januar zwei Studentinnen verurteilt wegen Containern.

Max: Ja, also da setze ich mich nicht sehr weit mit auseinander. Ich habe auch den Vorfall mitbekommen, dass die glaube ich zwei Jahre auf Bewährung bekommen haben und noch Geldstrafe.

Franziska: Genau, ja.

Max: Weiter setze ich mich damit aber nicht auseinander, also ich weiß, was ich begehe, so Hausfriedensbruch und Diebstahl, ja, aber weiter beschäftige ich mich nicht damit. Nein.

Franziska: Da gibt’s ja auch ganz absurde Unterschiede, zum Beispiel wenn man jetzt einen Wert hat an Lebensmitteln, die man containert, die unter 50 Euro sind, dann darf der Supermarktbesitzer quasi entscheiden, stelle ich eine Anzeige oder nicht. Aber sobald es über 100 Euro ist, geht’s direkt an die Staatsanwaltschaft und dann entscheidet die, ob es eine Anzeige wird oder nicht. Wusstest du das?

Max: Ne, davon hab ich selbst noch nichts gehört. Aber ich glaube, ich bin immer unter 50 Euro, von dem her.

[Beide lachen]

Franziska: Auf der sicheren Seite, ein bisschen. Welche Rolle spielt der Nervenkitzel beim Containern? Ist das auch so etwas, was du sagst, das macht es für mich noch spannender oder wird man dann eher irgendwann routiniert und denkt so, ja, ich kenne meine Ecken, wo ich weiß, da kommt keine Polizei vorbei.

Max: Also am Anfang, das erste mal Containern, war schon immer recht spannend, auf jeden Fall, wenn man teilweise das Gebiet noch nicht kennt. Zum Beispiel in Nürnberg kenne ich mich nicht so gut aus. Jetzt mittlerweile ist das schon eher so eine Routine. Man kennt die Supermärkte und weiß genau, wo man hin muss und wo man schauen muss. Da läuft das schon recht routiniert und ruhig ab.

Franziska: Ich schätze mal, erwischt worden bist du auch noch nicht?

Max: Nein, noch nicht.

[Beide lachen]

Franziska: Oder keine brenzlige Situation gehabt?

Max: Nein, also einmal ist dann ein Lkw zum Beispiel vorgefahren, da habe ich dann doch, also nicht unbedingt die Flucht ergriffen, aber ich bin dann doch gegangen zur Sicherheit und wenn sich Personen oder so nähern, dann sollte man da schon aufpassen oder sich unauffällig verhalten.

Franziska: Also immer ein wachsames Ohr haben, falls jemand kommt.

Max: Genau.

Franziska: In Österreich und in der Schweiz ist Containern erlaubt. Denkst du, das wird sich irgendwann auch in Deutschland durchsetzen?

Max: Ich glaub’s eher nicht, aber in Frankreich ist da ja eigentlich auch schon ein guter Ansatz, dass Supermärkte die Lebensmittel spenden müssen. Also, da sollte mal der Gesetzgeber auch wirklich was machen und da anpacken.

Franziska: Dann müsste man ja auch gar nicht containern gehen.

Max: Genau, das wär meiner Meinung nach der bessere Weg, statt das Containern zu legalisieren.

Franziska: [Lacht] Ja, das stimmt. Ein bisschen Präventionsarbeit.

Max: [Lacht] Genau.

Franziska: Dann vielen Dank dir für das Gespräch.

Max: Ja, sehr gerne.

© Fotograf: „Max“, 2019: All diese Lebensmittel hat Max in der Tonne gefunden. 

Marie Wetzel, Luisa Filip

Franziska Roos

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