Menschen

Julian Pecher – Ein Gespräch über Toleranz im Sport

Ein Beitrag von Laura Pickl, Yannick Hupfer
Julian Pechert im Interview

Julian Pecher hat viel zu tun in seiner Heimatstadt, zu unserem Interview-Termin im Sportpark Ronhof-Thomas Sommer fährt er trotzdem mit dem Fahrrad. Gerade feierte er den Aufstieg in die erste Liga. FrankenSein hat mit ihm über seinen Job als Stadionsprecher, sein Outing und warum für ihn Haltung wichtiger ist als Worte gesprochen.

Julian, du wurdest 2017 Stadionsprecher. Wie war es für dich, als du die Nachricht bekommen hast?

Ich erinnere mich noch ziemlich genau, weil ich gerade in der Uni unterwegs war, von einem Seminar zum nächsten gehetzt bin und dann der Anruf kam mit einer Nummer, die mir unbekannt war. Ich bin ans Telefon gegangen und der Pressesprecher der SpVgg Greuther Fürth, Immanuel Kästlen, war dran. Ich habe mir dann gedacht: Ok, er erklärt mir jetzt kurz, dass es nichts geworden ist. Zu meiner Verwunderung kam dann: „Julian, ich freue mich, dir mitteilen zu dürfen, dass…“ und dann war ich schon am Rumhampeln in der Uni (lacht). Ich weiß auch nicht, wie das in dem Moment für Außenstehende gewirkt haben muss. Daraufhin habe ich natürlich gesagt, dass ich das Angebot sofort annehme und ich mich riesig freue.

Nun soll es in diesem Interview ja um Homosexualität im Fußball gehen. Du hast dich schon ziemlich früh in deiner Zeit als Amateurfußballer geoutet. Hattest du Angst, dass der Schritt besonders in diesem Umfeld negative Reaktionen hervorrufen könnte?

Grundsätzlich nicht. Ich lebe das total offen, weil das für mich nichts Besonderes ist. Für mich ist es aber auch selbstverständlich, dass es akzeptiert werden MUSS. Ich gehe da genauso ran, wie auch ein Heterosexueller, wenn er seine erste Freundin mit nach Hause bringt.

Von deiner Seite war es also kein Thema. Hattest du das Gefühl, dass sich der Umgang der anderen mit dir ändert? Dass sie vielleicht darauf achten, welche Sprache sie benutzen? Dass sie versuchen, Fallstricke zu umgehen?

Nicht wirklich. Das sind auch Lappalien, auf die ich nicht achtgebe. Für mich zählt immer, was die Menschen denken und wie sie allgemein zu dem Thema stehen. Was man anderen vermittelt, ist manchmal eine ganz andere Sache. Ich kann auch über Schwulenwitze lachen oder selbst mal einen machen. Aber im Grunde geht’s nicht darum, wie Worte gewählt werden. Es geht darum, ob das die Mannschaft innerhalb und außerhalb der Kabine akzeptiert oder nicht. Das ist der Baustein, der am bedeutsamsten ist, dann kann man sich um sprachliche Sachen kümmern.

Gibt es für dich eine Grenze, an der du sagst: „Soweit gehe ich, mehr höre ich mir aber nicht an. Das finde ich dann nicht mehr lustig.“

Das allermeiste lasse ich abprallen. Sobald es beabsichtigt intolerant wird, gebe ich auch gerne deutlich und zügig Contra. Im Stadion sind wir angehalten, dass wir einschreiten, wenn irgendwelche rassistischen, menschenfeindlichen Äußerungen kommen. Dann sollen wir als Stadionsprecher gegenwirken und so halte ich es auch. Nicht nur in meiner Funktion als Stadion- und Sicherheitssprecher, sondern allgemein gesellschaftlich gebe ich Contra. Meine Grenze ist, wenn ich mit bestimmten rassistischen Menschen einer bestimmten Partei zusammenkomme, die es partout nicht einsehen möchten. Dann frage ich mich: Bringt es da überhaupt was, eine Diskussion zu führen?

Du hast die Situation im Stadion gerade angesprochen. Kommt es zu Situationen, in denen du als Stadionsprecher eingreifen musst?

Bei unseren Fans grundsätzlich kaum. Da habe ich noch nie irgendwas zum Thema Rassismus oder dergleichen durchsagen müssen, bis auf ein paar Durchsagen, die man eben zwangsweise macht als Stadionsprecher wie beispielsweise wegen des Einsatzes von Pyrotechnik. Menschenfeindliche Sprüche habe ich im Ronhof noch nie erlebt – und ich bin seit 2002 hier. Was die Gästefans angeht, kann es anders laufen. Wenn bestimmte Mannschaften kommen, stelle ich mich darauf ein, dass es vielleicht anders abläuft. Das war aber bis jetzt noch nicht der Fall, dass man wegen solcher Äußerungen ein Spiel unterbrechen und Ansagen machen musste. Unser Verein ist durchweg tolerant und weltoffen, das fängt bei den Fans an und geht bis hin zu meinen Kolleginnen und Kollegen.

Kannst du dir erklären, warum es bei den Fürther Fans so gut läuft und warum die offensichtlich toleranter sind als andere?

Ich bin ehrenamtlich in der Stadt tätig, arbeite als Erzieher hier im Springerdienst neben meinem Studium. Ich bin viel in unserer Stadt unterwegs und habe zu vielen Menschen Kontakt. Überall habe ich das Gefühl, dass diese Großstadt eigentlich ein fast schon dörfliches Flair hat. Man kennt sich untereinander und der Verein hängt mit der Stadt ziemlich zusammen. Das Gefühl, dass man die Leute kennt und man die gleichen Werte mit- und untereinander teilt, überträgt sich auch ins Stadion. Es gibt auch wahnsinnig viel soziales Engagement bei der Spielvereinigung. Nicht nur vom Verein selbst, sondern auch von Seiten der Fangruppierungen. Da mag jetzt nicht unbedingt jeder gleich denken, aber letztendlich sieht man doch, dass diese sozialen Werte von jeder und jedem unterstützt werden möchten.

Woran liegt es, dass es andere Vereine in Sachen Toleranz noch Nachholbedarf haben?

Das ist eine ganze schwierige Frage, auf dem Gebiet bin ich auch kein Experte. Es ist aber kein Geheimnis, dass sich bei diesen Menschenmassen im Stadion schnell etwas entwickeln kann. Bei einigen Vereine, ich mag nicht explizit Namen nennen, gibt es bestimmte Fangruppen, die politisch in eine völlig falsche Richtung abdriften. Das mögen nur manche Menschen im Stadion sein, doch leider nehmen die während der Spiele teils Fanmassen mit. So wirkt es unten auf dem Feld. Es sind wahrscheinlich nur einige wenige, aber es hat schnell den Eindruck, dass man sich auf den Fantribünen mit diesen kleinen Gruppen solidarisiert. Ich denke nur an Chemnitz. Da war der ganze Verein verschrien, dass dort nur rechte und menschenverachtende Menschen hingehen. Dem ist sicherlich nicht der Fall, jedoch können solche Dynamiken entstehen. In Münster wurde ein Spieler auf dem Feld beleidigt. Da war die Reaktion super. Da merkt man, dass diese Solidarisierung mit einer einzelnen Person nicht stattgefunden hat, sondern sich die Mehrheit dagegengestellt hat. Bei anderen Vereinen ist es hauchdünn, da muss ein Umschwung befürchtet werden. Wenn das im Stadion passiert, dann muss man agieren – auch ich als Stadion- und Sicherheitssprecher.

Während unserer Recherche sind wir auf das Buch des ehemaligen Profi-Spielers Philipp Lahm gestoßen. Er rät in seinem Buch „Das Spiel, die Welt des Fußballs“ Fußballern während der aktiven Karriere von einem Coming-Out ab, weil er der Toleranz des Betriebs in diesem Punkt misstraut. Kannst du seine Aussage verstehen?

(ernst, fast wütend) Das ist eine gute Frage. Ich würde mir wünschen, dass er mal beantwortet, wie er auf so etwas kommt. Er berichtet wahrscheinlich nicht aus der Sicht eines Homosexuellen, der im Profi-Sport war, sondern blickt ohne jede persönliche Erfahrung als Außenstehender auf dieses Thema. Ich persönlich finde, dass das eine ganz dramatische Äußerung ist! Es ist seine Meinung, die er natürlich äußern darf. Aber meine persönlichen Erfahrungen waren gegenteiliger Art. Ich habe in mehreren Vereinen als geouteter Spieler gespielt – natürlich nur im Amateursport, aber Fußball ist Fußball. Und ich habe nur gute, oder zumindest keine schlechten, Erfahrungen gemacht.

Was müsste sich im Fußball allgemein ändern, damit sich die Situation für Betroffene verbessert und damit sich mehr Menschen trauen, offen zu ihrer Sexualität zu stehen?

Dazu kann ich nur sagen, was ich persönlich erlebt habe. Einige jüngere Spieler haben mir berichtet, dass sie sich Zuhause nicht trauen, sich zu outen. Ich dachte mir nach meinem Outing damals: „Mensch, jetzt habe ich schon eine Zeit erwischt, in der man sich durchaus outen kann. Jetzt wird es ja nur noch besser!“ Aber meine Erfahrung und die Berichte, die ich bekommen habe, zeigen, dass es auch heute noch schwer ist sich überhaupt erstmal zuhause vor den Eltern zu outen. Das ist schon viel verlangt. Explizit im Sportbereich glaube ich, dass man sich nicht outen muss, weil es nicht DAS Thema beim Fußball ist. Das Thema beim Fußball ist und bleibt der Fußball. Trotzdem gilt es, dass man Spielerinnen und Spielern mit solchen Neigungen Unterstützung zusagt. Bei mir war es damals so, dass ich irgendwann einfach meinen damaligen Freund zu einer Weihnachtsfeier mit der Mannschaft mitgenommen habe. Er gehörte damals ja zu mir – die anderen Spieler hatten ihre Freundinnen dabei und für mich war das dann auch normal.

Wurde das von deinen Mitspielern komisch aufgefasst?

Überhaupt nicht. Da gab es wirklich 100-prozentige Toleranz. Klar war es für manche Spieler ungewohnt – dazu gehörte auch mein bester Kumpel, der mit mir zusammen Ewigkeiten im Amateurfußball gespielt hat. Er hat auch ab und an gesagt: „Müsst ihr euch dauernd an den Händchen halten?“- Da merkt man einfach, dass es im Kopf trotzdem noch diesen Schalter gibt, der sagt: „Ihr seid schon anders. Also ich akzeptiere das, aber ihr müsst es nicht ganz so offen nach außen zeigen.“ Für mich ist das Thema nicht wichtig, weil ich genau weiß, dass die grundsätzliche Akzeptanz da ist. Wenn einmal so ein Satz kommt, kann man auch darüber sprechen und daraus lernen.

Also hast du diese Aussage deinem Freund auch nicht übelgenommen?

Es gab nichts übel zu nehmen. Nicht alles was man sagt, sollte dermaßen auf die Goldwaage gelegt werden. Die Frage impliziert ja bereits, dass es etwas übel zu nehmen gegeben hätte. Oft fehlt vielen einfach die Erfahrung und der Kontakt zu diesem Themengebiet. An sich war und ist er mir gegenüber sehr aufgeschlossen und tolerant und das zählt.

Hättest du dich in deiner Rolle als Stadionsprecher geoutet, wenn du es nicht schon vorher gemacht hättest?

Ich hätte kein Problem damit. Das ist ein absolut gängiges Thema. Jeder kann lieben, wen und wie er möchte. Ich würde auch im Stadion ganz offen dazu stehen – was ich aber natürlich nicht mache, weil ich dort andere Sachen durchsage, die weitaus wichtiger sind (lacht).

Vielen Dank für das Interview, Julian!

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