Plastiktüten kosten an der Kasse heute extra, Bio-Lebensmittel erfahren einen Boom und wir unterschreiben das Volksbegehren zur Erhaltung der Artenvielfalt im Rathaus. Das Thema Nachhaltigkeit ist in den Köpfen womöglich präsenter als jemals zuvor. Auch Müll-Recycling ist nach wie vor relevant und in der Forschung aktuell.
Du kaufst dir einen Fernseher. Neben dem neuen Elektrogerät erhältst du mit deinem Einkauf außerdem jede Menge Verpackungsmüll. Dazu gehört sowohl der Pappkarton als auch die Plastikfolie; und natürlich das Styropor, das den Fernseher vor Schäden beim Transport schützen soll. Danach hat dieses Verpackungsmaterial meist keine Funktion mehr und wird entsorgt. Doch hast du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, was mit dem Styropor passiert, nachdem du es im Gelben Sack entsorgt hast?
FrankenSein hat dem Labor des Biomasse-Instituts, einer gemeinsamen Einrichtung der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und der Hochschule Ansbach, einen Besuch abgestattet. Dort forscht Lukas Graf während seines Studiums im Master “Applied Research in Engineering Sciences” an einer Methode, gebrauchtes Styropor sinnvoll zu recyceln. Denn landet das Verpackungsmaterial erst mal auf dem Wertstoffhof, wird es in der Regel verbrannt.
Holzmehl sinnvoll nutzen
Angefangen hat alles vor rund zwei Jahren damit, dass ein Möbelhersteller aus der Region mit folgendem Problem an die Hochschule herangetreten ist: Bei der Verarbeitung von Holz fällt in der Produktion jede Menge Holzmehl an, das bislang lediglich verbrannt wurde, um damit Energie zu erzeugen. Jedoch war der Möbelhersteller auf der Suche nach einer effizienteren Verwertungsmethode für dieses Abfallprodukt.
Bevor Lukas Graf seinen Forschungsmaster startete, befasste sich schon Stefanie Grunert, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Biomasse-Institut, mit sogenannten Holz-Kunststoff-Verbundwerkstoffen (englisch “Wood Plastic Composites”, kurz WPC). Sie entwickelte zusammen mit dem Alumni Kay Komynarski ein Verfahren, in dem die bereits angesprochenen Abfallstoffe – Styropor und Holzmehl – ins Spiel kommen. Durch die Zugabe von Lösungsmitteln wird Styropor aufgelöst und mit Holzmehl gemischt. Es entsteht eine knetbare Masse, die erneut aufgeschäumt und später beispielsweise als Dämmmaterial bei dem Bau von Gebäuden oder wieder als Verpackungsmaterial eingesetzt werden kann. Im vergangenen Jahr wurde das Verfahren bereits mit dem Innovationspreis des Fachverbandes der Schaumkunststoffe und Polyurethane ausgezeichnet.
Ein tragisches Ereignis gibt den ersten Impuls
Die Idee für einen flammgeschützten WPC-Schaum entsprang einem tragischen Ereignis: Im Jahr 2017 war im Londoner Stadtbezirk Kensington in einem Hochhaus Feuer ausgebrochen. Damals starben 72 Menschen in den Flammen und die Frage ist noch heute, ob der Brand durch die Verarbeitung hochwertiger Baumaterialien hätte verhindert werden können. Denn die dort verwendeten Polystyrol-Dämmplatten sind zwar kostengünstig, jedoch auch leicht brennbar. Dagegen enthält die Variante des Biomasse-Instituts mineralische statt bromierter Flammschutzmittel, mit denen das Holzmehl zuvor behandelt wird und das damit weniger schnell entflammbar ist.
Lukas Graf beschäftigt sich in seinem Forschungsmaster mit der Frage, welche Eigenschaften das hergestellte WPC hat und wofür es später tatsächlich eingesetzt werden kann. Durch die Materialprüfungen findet er heraus, in welchem Verhältnis Holzmehl und gebrauchtes Styropor gemischt werden können und welche mechanischen Eigenschaften sich durch die jeweiligen Mischverhältnisse ergeben. Dafür streicht er die knetbare Mischung in eine Zugstabform – ähnlich einer Backform – und lässt das Lösungsmittel verdampfen. Dadurch erhält man ein relativ festes Material mit wenigen Lufteinschlüssen. Dieses testet er im Anschluss auf seine Reißfestigkeit und Elastizität. Interessant ist vor allem auch, ob das WPC durch mehrmaliges Auflösen und Aushärten seine Eigenschaften behält. Wäre dies der Fall, könnte man das Material sehr oft recyceln.
Neben der Arbeit im Labor belegt Lukas Graf in seinem Studium Seminare wie “Kunststoffverarbeitung”, die ihm das nötige theoretische Wissen für seine Forschung vermitteln. Um einen Schaum aus dem Lösungsmittel-Holz-Styropor-Gemisch herzustellen, muss das Lösungsmittel schnell verdampft werden. Industriell erfolgt dies mit Wasserdampf, Hitze oder in einem neuen Verfahren mit Infrarot-Strahlung. Hierfür erhält das Biomasse-Institut Unterstützung von Firmen.
Forschungsarbeit nahe an der Praxis
Um die Entwicklung des Werkstoffes voran zu bringen, arbeitet das Biomasse-Institut mit mehreren Unternehmen zusammen, die ebenfalls Interesse an dieser Neuheit haben: Neben dem Möbelhersteller zählen hierzu unter anderem ein Unternehmen, das sich mit nachhaltigen Dämmmaterialien beschäftigt, sowie ein Start-up aus Lichtenfels, das mit einem Verfahren basierend auf Infrarottechnologie energiesparend Materialien aufschäumt. Da der gesellschaftliche und politische Druck steigt, sich mit Kunststoffabfällen zu beschäftigen, wird das Thema Recycling für viele Firmen der Kunststoffbranche immer relevanter. Abfall als Ressource zu betrachten, führt zu Innovationen und zur Entwicklung von Schlüsseltechnologien in verschiedenen Branchen.
Damit die Finanzierung solcher Projekte am Biomasse-Institut sichergestellt werden kann, kümmert sich Stefanie Grunert um die Beantragung von Fördergeldern. So unterstützt beispielsweise das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) “anspruchsvolle Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die zu neuen Produkten, technischen Dienstleistungen oder besseren Produktionsverfahren führen”. Auch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe zählt zu den potentiellen Förderern des Projekts.
Das Biomasse-Institut beschäftigt sich zunehmend mit dem Thema Recycling und Nachhaltigkeit: Neben dem Projekt von Lukas Graf sollen zum Beispiel auch biogene Kunststoffe zukünftig einen Forschungsbereich des Instituts darstellen. Diese werden aus nachwachsenden Rohstoffen – ohne die Verwendung von Rohöl – gefertigt. Das Potential an neuen Ideen in diesem Segment scheint noch lange nicht erschöpft und wir können gespannt sein, welche neuen Erkenntnisse die Forschung am Biomasse-Institut uns in Zukunft noch präsentieren wird.