Leben mit dem Tod – Wie Sterbende und ihre Begleiter gemeinsam den letzten Weg erleben

Wer bereits den Verlust eines geliebten Menschen erlitten hat, macht sich im Zuge dessen auch über das eigene Ende Gedanken. Fazit: schnell und schmerzlos soll es gehen. Denn einsam zu sterben kann schmerzhafter sein als alles andere.

Der deutsche Titelzusatz zur TV-Serie Six Feet Under trifft es genau: „Gestorben wird immer“.

Im Jahr 2015 sogar 133.536 mal in Bayern, laut Statistischem Bundesamt. Viele Menschen waren sich ihres nahenden Endes bewusst. Wut, Angst und Verleugnung sind häufige Reaktionen, wenn eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wird. Oft fehlen Angehörige oder Freunde, die beistehen. Alleine sterben zu müssen verstärkt dabei die Furcht vor dem Unvermeidlichen. Um diese Angst zu lindern, stehen Mitarbeiter von Hospiz-Einrichtungen und Vereinen den Betroffenen zur Seite.

Aufgaben und Erlebnisse bei der Sterbebegleitung

Von 2010 bis Ende 2016 hat Ulrich Jendrzej seine Hand den Menschen gereicht, die sich in genau dieser Situation befanden. In dieser Zeit war er aktives Mitglied des Hospizvereins Ansbach e.V., bis er sich vergangenes Jahr aus persönlichen Gründen aus dem Dienst zurückgezogen hat. Mehr als 20 Personen hat der ehemalige Lehrer bis zum Schluss begleitet. Der im Oktober 1992 gegründete Verein zählt heute 263 Mitglieder. Rund 21 aktive Begleiter betreuen auf Anfrage Schwerstkranke in Altenheimen, Pflegeeinrichtungen oder besuchen ihre Patienten zu Hause. Ergänzend kommen noch Trauerarbeit mit den Angehörigen und Besuche in Schulen hinzu. Auch Kinder werden von den ausgebildeten Ehrenamtlichen auf ihrem letzten Weg begleitet.

Sterbebegleitung
Ulrich Jendrzej

Ulrich Jendrzej war während seiner aktiven Zeit einer von zwei Einsatzleitern des Vereins. Er koordinierte die Einsätze bzw. entschied darüber, welcher Patient welchem Mitarbeiter anvertraut wird. Denn nicht jeder Begleiter passt zu jedem Sterbenden und umgekehrt. Was jedoch alle Sterbebegleiter gleichermaßen mitbringen, sind Zeit und Ruhe. Es ist ein Dienst am Menschen. Daher versteht es sich von selbst, dass nicht gehetzt oder gedrängt werden darf. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter schenken denjenigen etwas ihrer Zeit, denen selbst nicht mehr viel Zeit bleibt. Aus diesem Grund ist es diesen Personen so wichtig, in Gesellschaft anderer sein zu dürfen – sei es zum Gedankenaustausch oder um am Leben teilhaben zu können. Wie sensibel Sterbende in dieser Phase sein können, wurde Jendrzej durch eine seiner Patientinnen bewusst. Die ältere Dame bemerkte, wie er während des Gesprächs auf seine Uhr schaute. „Sie wollen gehen, stimmt´s? Sie haben anscheinend keine Zeit mehr“, fragte die Frau. Obwohl der Blick nichts dergleichen zu bedeuten hatte, tat es ihm ungemein leid. Danach trug Jendrzej während einer Begleitung nie wieder eine Uhr.

Die Zeit ist allerdings nicht das einzige Thema, worauf Patienten feinfühlig reagieren. Wer eine Sterbebegleitung übernehmen möchte, der muss sich dabei auch wohlfühlen. Widerwille oder gar Ekel lassen sich kaum verbergen und werden schnell durchschaut. Viele Patienten sind durch ihre Krankheit gezeichnet. Erbrechen, Einkoten oder Urinieren sind oft Begleiterscheinungen eines schwächer werdenden Körpers. Hinzu kommen Gerüche, die durch bestimmte Krebserkrankungen entstehen. „Wenn beispielsweise ein Gesicht durch Krebs zerfressen ist“, so Jendrzej „dann riecht das nach verwestem Fleisch.“ Neben den körperlichen Gebrechen können unter anderem auch starke physische oder emotionale Ausbrüche hinzukommen. „Einige Leute schreien, sei es vor Schmerzen oder vor Angst. Wieder andere werden aggressiv, reißen sich gar die Schläuche aus dem Leib“, schildert das Vereinsmitglied weiter.

Auf dem Sterbebett werden nicht selten Entscheidungen oder Verhaltensweisen bereut. Gespräche mit Fremden sind da oft einfacher als mit den Angehörigen. Daher vertrauen sich viele explizit nur Außenstehenden an. So wollte beispielsweise ein ehemaliger SS-Soldat nur mit einem Militär-Angehörigen über seine Kriegserlebnisse sprechen. Eine andere Patientin bedauerte wiederum, wie sie ihrer Tochter zugesetzt hatte, weil sie den Schwiegersohn für unpassend hielt. Diese Unterhaltungen sind für die Betroffenen sowohl emotional als auch befreiend.

„Der Tod hat viele Gesichter, nicht jeder hält das aus. Und das ist auch keine Schande“, betont Ulrich Jendrzej.

Aus seiner Tätigkeit als Kinderhospiz-Begleiter berichtet Jendrzej, wie die kleinen Patienten mit dem Sterben umgehen. „Kinder sind viel unbekümmerter als Erwachsene.“ Steht dem Kind der Tod bevor, sehen einige dies als keine große Sache. „Nachdem ich gestorben bin, spiele ich im Himmel und warte halt, bis meine Eltern und Geschwister nachkommen“, erklärte einst ein kleiner Patient dem Sterbebegleiter. Stirbt ein Kind in der Pädiatrie, verabschieden sich seine Freunde auf ihre eigene Weise. Der Leichnam kann in einer Art Schneewittchensarg aufgebahrt werden, der von den übrigen Kindern bemalt und verziert wird.

Zudem können sie Briefe und Kuscheltiere mit in den Sarg legen.

Die Arbeit mit Sterbenden hat Ulrich Jendrzej zum Positiven verändert. Denn wirklich Angst vor dem Tod habe er nicht mehr – jedenfalls im Moment nicht. „Sterben ist wie durch eine Tür gehen“, meint Jendrzej. „Hauptsache, ich bin nicht allein, wenn es soweit ist.“

Das Team des Hospitzvereins Ansbach e.V. ist wie folgt erreichbar:

Jüdtstraße 1a,
91522 Ansbach

 

Sprechstunde
mittwochs von 9:30 Uhr bis 11:30 Uhr
0981 / 48 70 113
0170 / 921 58 80
buero@hospizverein-ansbach.de

Jan Degner

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