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„Online-Formate waren kein Ersatz“ – Dramaturg Michael Hanisch im Interview

Michael Hanisch ist seit der Spielzeit 2020/21 Dramaturg am Theater Ansbach. Dabei hat er die wohl kritischste Zeit miterlebt, die die Kulturbranche jemals durchmachen musste. In diesem Interview spricht er mit Frankensein über die Schwierigkeiten, die die Corona-Krise für ihn und seine Arbeit bereithielt, die Aufgaben eines Dramaturgs und wieso er Parallelen zwischen seinem Beruf und einer scharfsinnigen Parodie über das Ende der Welt sieht.

Herr Hanisch, man kennt die Aufgaben der Schauspieler oder eines Regisseurs – Aber was genau macht ein Dramaturg?

Zuerst räume ich mit einem Klischee auf: Ein Dramaturg ist nicht derjenige, der die Stücke schreibt. Das sind Dramatiker. Dramaturgen vertreten die Dramatiker. Der Dramaturg ist bei der Auswahl der Stücke sowie der Regisseure beteiligt. Er schaut, welcher Schauspieler welche Rolle übernehmen sollte. Er setzt sich mit dem Regisseur in Verbindung, redet über das Stück und vertritt den Autor. Sobald die Proben losgehen, recherchiert der Dramaturg Hintergrundwissen, beispielsweise für politische Stücke. Ich bin bei Proben dabei und gebe den Kollegen Feedback. Am Theater Ansbach gehört zum Bereich der Dramaturgie auch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich organisiere Interviews und Pressekonferenzen (PKs, Anm. der Redaktion), schreibe Pressemitteilungen und bereite das Programmheft vor.

Wie sieht heute Ihr Arbeitstag aus?

Mein Tag hat gegen 9 Uhr begonnen. Ich habe erstmal in meine E-Mails geschaut. Dann musste ich die Presse checken – sprich: Steht in der örtlichen Zeitung etwas über das Theater Ansbach? Gibt es überregional Themen rund um das Theater? Als eines der ersten Dinge muss ich auch in unsere sozialen Netzwerke schauen. Heute habe ich außerdem Plakate für das Sommertheater fertig gestellt und in den Druck gegeben. Im Anschluss an unser Gespräch gehe ich zu der Probe des Jungen Theaters. Das ist unser Jugendclub, den ich zusammen mit einer Schauspielkollegin leite. Heute Nachmittag haben wir eine Teamsitzung, in der wir das Vorgehen für die nächsten drei Wochen besprechen. Heute Abend habe ich Dienst bei den Vorstellungen – den Intendantendienst. Der Intendant ist nicht immer da, aber es braucht jemanden, der ihn vertritt. Im Rahmen dieses Dienstes mache ich dann die Werkseinführung für die Komödie „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ und für das Stück „I’m every woman.“ Gegen 21:30 Uhr habe ich Feierabend.

Nun interessiert uns natürlich, wie Sie auf den Beruf des Dramaturgen gekommen sind?

In meiner Jugend hatte ich viel Spaß an unserem Schultheater. Ich wusste schnell, dass ich kein Schauspieler werden möchte. Ich habe mich umgeschaut, welche Aufgabenbereiche es sonst noch am Theater gibt. So habe ich ein erstes Praktikum am Theater Augsburg gemacht und war im Jugendklub aktiv. Dann habe ich mich entschieden, Theaterwissenschaften zu studieren. Während des Studiums hat sich mein Berufswunsch Dramaturg immer mehr herauskristallisiert. Zum Ende meines Studiums hatte ich meine erste Stelle am Theater Ulm.

Mit einem Studium in Theaterwissenschaften hätten Sie auch Regisseur werden können. Warum hat Sie der Beruf des Dramaturgen so gefesselt?

Ich arbeite sehr gerne mit Sprache und Texten. Wenn man als Dramaturg arbeitet, steht die Arbeit mit dem Text mehr im Mittelpunkt als bei der Arbeit als Regisseur.

Sie haben den Alltag des Ansbacher Theaters bisher nur unter Corona-Bedingungen erlebt. Was für eine Bilanz ziehen Sie aus Ihrer bisherigen Arbeitszeit?

In den letzten eineinhalb Jahren hatten wir mehr geschlossen als geöffnet. Es war sehr schwierig unter Corona Bedingungen am Theater anzufangen.

Inwiefern war es schwierig?

Es durfte vieles nicht stattfinden, zum Beispiel der Barbetrieb oder die Nachgespräche mit dem Publikum. Gerade wenn man neu in der Stadt ist, ein neues Team um sich herumhat und man gerne mit dem Publikum Kontakt aufnehmen möchte, ist das sehr schwierig. Der Dialog mit dem Publikum ist zum Erliegen gekommen.

Wie haben Sie sich während der Zeit gefühlt?

Theater ist ein Medium, das von zwei Seiten lebt. Das ist nicht nur das, was wir den Leuten geben, sondern auch wie die Leute darauf reagieren. Dieser fehlende Dialog hat das Arbeiten teilweise frustrierend gemacht. In der Corona-Zeit sind sowohl bei mir als auch bei den Kollegen Ermüdungserscheinungen aufgetreten. Wir wussten nicht, wofür wir die Arbeit machen. Die direkte Reaktion des Publikums hat gefehlt. Online-Formate waren kein Ersatz, dafür sind wir am Theater zu live.

Sie waren teilweise im Homeoffice. Wie ist es Ihnen dort ergangen?

Ich bin ein Arbeitstier. Ich war es gar nicht gewohnt, stundenlang tagsüber zu Hause zu sein. Natürlich ist das im Sommer einmal schön, aber wenn man zwangsweise nach Hause geschickt wird, ist das ein seltsames Gefühl.

Welche Eigenschaften sollte ein Dramaturg mitbringen?

Liebe zur Sprache und zum Theater. Man darf sich nicht durch ungewöhnliche Arbeitszeiten abschrecken lassen. Und es darf niemand erwarten, in dem Beruf reich zu werden.

Ist bei Ihrer Arbeit schon einmal etwas schiefgelaufen?

Ich habe noch nie eine PK oder andere Termine vergessen. Allerdings ist schon mal eine Produktion an einem Theater in Tübingen gescheitert. Es ist eine seltsame Erfahrung, irgendwann im Probenprozess festzustellen, dass Schauspieler und Regisseur nicht zueinander finden. Das Vertrauensverhältnis war so gestört, dass es auch nicht mehr wurde. Dieses Stück mussten wir absagen.

Was war Ihr bisheriges Highlight am Theater Ansbach?

Mein persönliches Highlight ist die Zusammenarbeit mit dem Jungen Theater, weil es mir Freude macht, junge Menschen fürs Theater zu begeistern. Sie sind der Nachwuchs, den wir züchten.

Wenn Sie Ihre Arbeit mit einem Stück vom Theater Ansbach beschreiben müssten, welches wäre das?

Die Ballade vom großen Makabren.

Warum genau dieses?

Weil es das Eröffnungsstück im September 2020 war. Es beinhaltet alles, was das Theater ausmacht: Ballade, Sprache, manchmal ist es ein bisschen makaber, tragisch und komisch und hat ein doppeldeutiges Ende.

Die neue Spielzeit beginnt am 24. September 2022. Was wünschen Sie sich für die kommende Saison?

Ich hoffe, wir bauen das aus, was wir jetzt angefangen haben: die Kontakte zum Publikum pflegen, Werkseinführungen durchführen und den persönlichen Austausch mit Menschen vor Ort. Wir haben schon ein paar Ideen das mit gastronomischen Angeboten zu verbinden. Wir versuchen sonntags vor der Premiere das Publikum sowie das Theaterteam und die Schauspieler am Theater zusammen zu bringen. Der Plan ist es, gemeinsam zu frühstücken. So können wir auf direktem Wege Fragen austauschen und das neue Stück vorstellen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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