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„Plötzlich war alles anders“: Eine Ansbacherin erlebt Hurrikan Helene hautnah

Ein Beitrag von Belinda Halimi, Lea Hoffmann

Im September besucht Eva Häußler ihre 88-jährige Tante in Georgia, die Vereinigten Staaten von Amerika, und gerät durch Hurrikan Helene in eine Woche voller Angst und Not. Während der Sturm das Leben in Augusta stilllegt, versucht Eva, den Alltag ohne Strom und Wasser zu meistern – und findet dabei neue Stärke und Nähe zur ihrer Familie.

„Es war wirklich der Horror.“ So beschreibt die Ansbacherin Eva Häußler, 55 Jahre alt, ihre Woche in Augusta, Georgia. Die besagte Woche war eigentlich nicht geplant: 21 Tage hatte sie bereits ihre Tante in den USA besucht. Die 88-jährige Tante Eva Bostrom stammt ursprünglich aus Ansbach, lebt jedoch seit über fünf Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten. Dort hat sie geheiratet, eine Familie gegründet und sich ein neues Zuhause geschaffen – heute lebt sie nur zehn Minuten entfernt von ihrem Sohn und nennt das Land, in dem sie nun mehr als die Hälfte ihres Lebens verbracht hat, ihre Heimat. Doch in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2024 geriet diese vertraute Welt ins Wanken: Hurrikan Helene traf ein und brachte mit einem gewaltigen Sturm Verwüstung und Angst.

Der Hurrikan trifft Augusta

Ihre Tante hatte bislang stets Glück gehabt, erzählt Eva. Frühere Hurrikans waren immer an der Stadt vorbeigezogen und hatten höchstens starke Regenfälle hinterlassen. „Aber ausgerechnet in dem Jahr, als ich dort war, setzte sich Helene mit ihrem Auge genau über Augusta fest.“ Hurrikan Helene traf am 26. September 2024 Nordwest-Florida als ein Sturm der Kategorie 4. Hurrikans werden auf einer Skala von 1 bis 5 eingestuft, wobei 5 die stärkste Stufe ist. Ein Sturm der Kategorie 4 bedeutet extrem starke Winde von 209 bis 251 km/h, die Bäume entwurzeln, Gebäude schwer beschädigen und in Küstenregionen massive Sturmfluten auslösen können. Mit bis zu 225 km/h war Helene einer der größten Stürme der letzten 100 Jahre im Golf von Mexiko. Warnungen wurden für 60 Millionen Menschen in zwölf Bundesstaaten herausgegeben. Doch die Ausmaße des Sturms übertrafen jede Erwartung: Mehr als 230 Menschen verloren durch Helene ihr Leben, was ihn zum bisher tödlichsten Hurrikan Nordamerikas seit Hurrikan Maria macht, der 2017 Puerto Rico verwüstete. Schätzungen zufolge belaufen sich die wirtschaftlichen Schäden – vom Verlust von Eigentum bis zu zerstörter Infrastruktur – auf etwa 200 Milliarden Dollar, womit Helene als teuerster Sturm in die Geschichte der USA eingehen könnte.

Der Beginn der Katastrophe

Evas Rückflug war für den 27. September geplant, doch der Sturm kam bereits in der Nacht zuvor. „Ich schaute aus dem Fenster, die Bäume bogen sich, Wassermassen fluteten die Straßen, und dann fiel der Strom aus.“ In diesem Moment wurde Eva klar, dass sich ihre Heimreise verzögern würde. Evas Tante schlich unruhig durchs Haus, gezeichnet von der Angst vor dem Sturm. Sie fürchtete, dass dem Haus oder ihren beiden kleinen Hunden etwas passieren könnte. „Sie meinte: Wir können uns in den Flur oder ins Bad legen, dort gibt es keine Fenster.“ Doch die Ansbacherin nahm die Situation gelassener und entschied sich zu schlafen. Ein lautes Knallen weckte die beiden. Trotz ihrer Angst stand sie auf, um nachzusehen, ob das Haus beschädigt worden war. „Der Wind hatte sich unter die Verkleidung des Hauses gesetzt und bei jedem Windstoß knallte es laut.

Die Auswirkungen des Sturms

Am nächsten Tag wurde das volle Ausmaß der Naturkatastrophe sichtbar: Die Straßen waren überschwemmt, Augusta war ohne Strom, und sowohl Einkaufsläden als auch Tankstellen waren geschlossen. Eva Bostrom hatte Glück. Ihr Grundstück wurde nur leicht von Hurrikan Helene verwüstet. Einige Äste lagen im Garten, das Dach war beschädigt und die Figuren im Garten zerstört. „Wir hatten noch Glück. Auf das Haus meines Cousins ist ein riesiger Baum gekracht. Sein Schlaf- und Badezimmer sind zerstört.“

Aber was tun ohne Strom, Wasser und Einkaufsmöglichkeiten? „Meine Tante und ich versuchten, uns irgendwie durchzuschlagen.“ Panik überkam Eva zunächst, als ihr klar wurde, dass es für die kommenden Tage keinen Strom geben würde. Gleichzeitig fiel ihre Powerbank aus. Um in Kontakt mit ihrer Familie in Deutschland zu bleiben, kam Eva auf die Idee, ihr Handy im Auto ihrer Tante aufzuladen. „Aber es dauerte ewig, bis das Handy wenigstens ein bisschen geladen war. Oft war ich froh, wenn ich überhaupt 30 Prozent Akku hatte.“ Ständig musste sie darauf achten, den Akkustand nicht zu niedrig werden zu lassen. Die Wasserversorgung stellte ebenfalls eine Herausforderung dar. Viele Menschen suchten verzweifelt nach Trinkwasser. Zwar wurde einmal täglich im Stadtzentrum Wasser verteilt, doch der Weg dorthin war zu weit. Evas Cousin, Arthur Bostrom, versorgte sie daher täglich mit Wasserkanistern. „Es war eine echte Ausnahmesituation“, berichtet Eva. „Wir waren wirklich auf diese Hilfe angewiesen. Ohne ihn wären wir völlig aufgeschmissen gewesen.“ Trotz allem blieb das Haus ohne jede Wasserversorgung. „Ohne fließendes Wasser war es unglaublich schwer, sich zu waschen“, schildert Eva Häußler. Angesichts der unzumutbaren Hygienesituation besorgten sich die beiden Frauen ein chemisches Mittel aus einem nahegelegenen Baumarkt, um die Fäkalien in der vorhandenen Toilette aufzulösen.

Ein „Notfallessen“ und neue Lösungen

Ihr erstes „Notfallessen“ bestand aus Toastbrot und Konserven. Im selben Baumarkt besorgte Eva Kohle, um auf einem kleinen Grill im Garten Konservensuppen zu erwärmen und Gemüse zu grillen. „Das war unsere einzige Möglichkeit, etwas Warmes zu essen. Es war ein richtiges Abenteuer, aber irgendwie hat es funktioniert. Wir mussten uns mit dem, was da war, arrangieren.“ Für die Ansbacherin fühlte es sich wie ein „Überlebensmodus“ an – sie tat einfach, was nötig war. Diese Ausnahmesituation brachte jedoch auch positive Seiten hervor. Der Hurrikan hatte die Menschen näher zusammengebracht. Zuvor hatte sie oft das Gefühl, dass jeder für sich selbst sorgte. Nach dem Wirbelsturm änderte sich das: Die Leute gingen auf die Straße, kamen ins Gespräch und tauschten wichtige Informationen aus. So erfuhr man beispielsweise, dass ein großer Supermarkt wieder geöffnet hatte und für ein paar Stunden Lebensmittel verfügbar waren.

Ein langwieriger Rückflug

Noch drei weitere Tage saß Eva in Augusta fest. Als sie schließlich zum Flughafen aufbrach, verzögerte sich der Ablauf bereits vor der Sicherheitskontrolle um mehrere Stunden aufgrund eines erneuten Stromausfalls. Auch in der Abflughalle verging einige Zeit, bis schließlich auf der Anzeigetafel die Bestätigung erschien: „Delayed.“ Nach mehreren Verschiebungen wurde der Flug letztlich ganz abgesagt. Ihr Cousin holte sie daraufhin wieder ab, und Eva entschied sich, es von einem anderen Flughafen in Columbia zu versuchen. Von dort aus gelang ihr der erste Flugabschnitt, und sie erreichte Charlotte, North Carolina. Doch durch das Chaos, das der Hurrikan verursacht hatte, wurden die Anschlussflüge nach Deutschland ständig verschoben. „Ich konnte erst am zweiten Oktober um 18:10 Uhr losfliegen.“

Die Rückkehr nach Deutschland

Sechs Tage später als geplant kam die 55-Jährige in Deutschland an. ‚Es war eine wahnsinnige emotionale Belastung.‘ Doch auch in Frankfurt gab es Probleme: Ihr Weiterflug nach Nürnberg war überbucht. Ihre einzige Option, laut Flughafenpersonal, war die Warteliste. „Da war ich wirklich am Ende meiner Kräfte“, beschreibt Eva. „Ich hatte einen Nervenzusammenbruch, weil ich seit sechs Tagen festsaß und einfach nur nach Hause wollte.“ Nach einem Telefonat mit der deutschen Service-Stelle ihrer Fluglinie und einigen Abstimmungen vor Ort gelang es schließlich einem Mitarbeiter, ihr einen Platz im nächsten Flieger zu sichern. Eva konnte noch am selben Abend mit dem Flugzeug nach Nürnberg fliegen. „Die Tage davor, in denen man sich einfach nur zusammenreißen musste, um zu funktionieren, die ganzen Sorgen um meine Tante und die Frage, wie sie das alles überstehen würde – all das hat mich eingeholt.“ Ihr Immunsystem war völlig geschwächt. Sie bekam Herpes im Mund und in der Nase und verbrachte mehrere Tage im Bett. Körperlich erholte sie sich allmählich, doch innerlich blieb ein Gefühl der Erschöpfung zurück.

Rückblick und neue Perspektiven

Frau Häußler gewann rückblickend in Deutschland eine neue Perspektive auf die Ausnahmesituation in Augusta. „Ich denke, es war gut, dass ich in dieser Zeit bei meiner Tante war“, erklärt sie. Sie habe gelernt, bewusster mit Ressourcen umzugehen und bemerkt, wie sehr man auf die Gemeinschaft angewiesen ist. „In solchen Momenten wird klar, dass man füreinander da sein muss. Ich nehme den Alltag jetzt viel bewusster wahr und versuche, die kleinen Dinge mehr zu schätzen.“ Am stärksten prägte die gemeinsame Zeit während des Hurrikans ihre Beziehung zu ihren Verwandten in den Staaten. „Das hat mir gezeigt, wie sehr wir in dieser Zeit zusammengewachsen sind. Es war eine schwere,  aber auch eine sehr verbindende Erfahrung“, reflektiert Eva. Nicht nur Frau Häußler, sondern auch ihre gesamte Familie teilt diese Sichtweise. „Wir glauben, dass ich vielleicht deshalb dort war – um meiner Tante in dieser schweren Zeit beizustehen. Und am Ende hat uns das Ganze nur noch enger zusammengebracht.“

Quellen:
Tropical cyclone – Tracking, Forecasting, Impacts | Britannica
https://www.copernicus.eu/de/node/69186

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